eine rauminstallation
von
doris
winkler
I. Polyvalenz der Erinnerung
„Das englische ‚to remember’ kann man in das deutsche ‚erinnern’ übersetzen. Fast ebenso gut lässt es sich übersetzen in das deutsche (?) Wort ‚Hand’. Ungewisses Wort ‚erinnern’; aber gibt es nicht ein Bild von den vielen Händen; und ist nicht die Berührung genauer und richtiger als die Erinnerung? So dass es beinahe die Redewendung geben könnte: (nicht: ich erinnere mich, sondern): ich habe viele Hände. Oder: komm auf den Händen zu uns. Oder: ich bin auf den Händen zu euch gekommen (fast schon Gegenteil des Erinnerns).“ (Peter Waterhouse, Im Genesisgelände)
Gibt es einen unmittelbaren Zugriff auf den Erinnerungsschatz? Ist „Zugreifen“ ein Berühren-Lassen, ein Berührt-Werden? Können diese Hände nicht auch zupacken, Luft zum Atmen nehmen? Bleibt dann von der Berührung nur das Bild (der Tod)? Verhalte ich mich im Erinnern zu mir wie zu einem Bild?
Und/oder: Spüre ich Bewegung, Dynamik, Wärme? Streifen Flügel mich, werde ich (sanft, gemäß der Berührung) durch die Zeiten getrieben: eine Flüchtige, aber Lebendige (und also kein Bild, keine Erstarrung, kein Tod)?
Polyvalenz des Erinnerns:
Sich fassen, festhalten, fixieren: sich konstruieren von Bild zu Bild... – als ob ich linear und kontinuierlich zu mir hinginge...
Die Griffe fühlen (Atemnot): das Erinnerungsbild als eine Angst... – schließlich: ein mich ablegen-wollen, ein aus-mir-austreten-wollen.
Im-Schwingen-Sein
( von der eigenen Vielheit beflügelt), die Ich-Gesichter einander
ansehen und ertasten lassen: keinen Sieg des einen über das
andere erringen wollen („Das Wesen der Dinge ist unlogisch und widersprüchlich.“
Lou Andreas-Salome)…
II. Der
Augenblick
„...ich möchte jetzt nicht vertrieben werden aus diesem Glück, ich möchte jetzt nicht vertrieben werden aus dieser Zeit, sage ich, die Zeit verstreicht nur zum Schein, (...), die Zeit vergeht nicht in Wirklichkeit, ich bekomme kaum Atem, (...), ich komme wieder zu Atem, ich habe wir haben die Zeit jetzt einen Augenblick anhalten können, eine Erfahrung, die mich heftig bewegt, eine Erfahrung die mir eine lebhafte eine heftige Sinnesempfindung beibringt (...)“ (Friederike Mayröcker, mein Herz mein Zimmer mein Name)
Ein seltenes Glück, ein seltenes Unglück (als Schmerz, als klaffende Wunde): die intensive Erfahrung des Jetzt, der Augenblick. Der Augenblick ist der andere Zustand, das Erlebnis einer Ausdehnung, einer Aufhebung von Grenzen: vielleicht ein Zeitpunkt außerhalb jedes Raumes.
Was hat dann die Erinnerung mit dem Augenblick zu schaffen?
Auch die Reflexion bringt das Jetzt hervor, sie begrenzt den Augenblick, bannt ihn in einen Raum, macht ihn dadurch scheinbar unvergessen... Das Erlebnis des Augenblicks lässt sich nicht konservieren, aber: erforsche ich nicht durch Erinnerung auch seine Eigenschaften ? Es ist unmöglich, wieder in ihn einzugehen, aber er kann – und sei es im Traum, in dessen eigener Sprache – zu mir kommen als eine Berührung, er kann mir etwas zeigen, eine „Wahrheit“ offenbaren, um sie später wieder zu verhüllen.
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ (Franz Kafka, Die Verwandlung)
Der Blick auf Augenblicke legt Wandlungen frei , ohne sie zu erklären: er kann die Idee der Folgerichtigkeit von Ereignissen und Handlungen als eine Illusion und ein Konstrukt entlarven.
Ist die
Erfahrung des Jetzt machbar?
Kann ein
Raum (und also eine Begrenzung) das Erlebnis des Augenblicks bewirken?
Und/aber/oder:
Impliziert das Denken vom Augenblick als einer Ausdehnung nicht auch
deren andere Seite, nämlich die Verdichtung?
Dann verhält
sich das Erlebnis des Augenblicks zu dessen Reflexion wie der Verlust der
Grenzen zum Eintritt in einen Raum? Ist dies notwendig ein schmerzlicher
Vorgang? Und/oder bedarf das Ich sowohl seiner Auflösung als auch,
um sich als kommunizierbares zu erfahren, seiner Begrenzung (:Benennung,
Beschreibung...)?
III. Keine
biografische Illusion (Pierre Bourdieu)
“Ich will nicht erzählen, es stört mich alles in meiner Erinnerung.“ (Ingeborg Bachmann, Malina)
Wie anders
über sich sprechen als in Fragmenten, (lückenhaften) Bruchstücken,
widersprüchlichen Assoziationsketten? Warum das Leben zu einer Geschichte
stilisieren (Anfang, Höhepunkt, Ende – Entwicklung und kein Vergessen)?
In dieser
Art verhandeln diverse (Auto)Biografien das eigene Leben oder das eines
anderen. Das Leben als Totalität, der Erzähler des eigenen
Lebens als ein totalitärer Erzähler...: das im Erinnerungsprozess
auftretende Stimmengewirr wird um eine Hauptstimme organisiert, das Chaos
des Lebens beseitigt mittels Hierarchisierung und der Konstruktion von
Kausalzusammenhängen.
Erinnerung aber spuckt keine Geschichte aus. Erinnerung funktioniert selektiv und assoziativ, lässt sich erzählen nur durch Ausblendung des Unsagbaren (die Ausblendung kann auf mancherlei Weise erfolgen: indem ich Erinnerung verweigere oder indem ich das Unsagbare in einen Satz transformiere) .
Wenn mich
jemand zum Erinnern auffordern will, muß er mir Räume geben,
mir Leerstellen anbieten ( - und keine Geschichte erzählen, in der
alles gesagt ist!): Ich kann mich an Wänden verletzen und/oder sie
ertasten, erkunden; ich kann mich für einen Augenblick einnisten,
austreten aus Aktion und Aktualität ... – eine Begegnung, die vieles
enthalten wird: Atemnot und Enge, Klärung und Erkenntnis, Berührung
und Bedrohung... (ein unstetes Gehen, ein unstetes Verharren.)
IV. Erinnerung und Handeln
„Gedächtnis. Im heutigen Sinn: ‚Bewahren des früher Erfahrenen und die Fähigkeit dazu.’ Kein Organ also, sondern eine Tätigkeit und die Voraussetzung, sie auszuüben, in einem Wort. Ein ungeübtes Gedächtnis geht verloren, ist nicht mehr vorhanden, löst sich in nichts auf, eine alarmierende Vorstellung. Zu entwickeln wäre also die Fähigkeit des Bewahrens, des Sich-Erinnerns. (...) Ist Sich-Erinnern an Handeln geknüpft?“ (Christa Wolf, Kindheitsmuster)
Eine für mich eindeutig nicht zu beantwortende Frage. „Handeln“ impliziert eine körperliche Praxis, einen körperlichen Vollzug, „Handlungen“ vermögen Erinnerung und Gedächtnisakte auszulösen, in Gang zu halten. Manchmal sind sie vielleicht sogar unweigerlich aneinander gebunden: Ich gedenke, ich erinnere mich, indem ich etwas bestimmtes tue.
Um nicht
zu vergessen, muß ich gehen, vielleicht auf den Händen (= handeln?)
Unmöglich,
immer den Untergrund, den Boden, auf dem sich meine Hände bewegen,
selbst zu bestimmen. Unmöglich, nur an etwas erinnert zu werden, das
meine Hände nicht schmerzt.
Peter Waterhouse bezieht sich in eingangs wiedergegebenem Zitat auf ein Gedicht von Paul Celan:
Stimmen vom Nesselweg her
Komm auf
den Händen zu uns.
Wer mit
der Lampe allein ist,
hat nur
die Hand, draus zu lesen.
Celan formulierte
wie kaum ein anderer Dichter dieses Jahrhunderts die Dringlichkeit, sich
zu erinnern. Seine Gedichte sind zugleich Zeugnis und Aufforderung, den
Holocaust im Gedächtnis zu behalten. Diesen Anspruch will ich keineswegs
in einen unmittelbaren Zusammenhang mit meiner Arbeit (Installation) stellen,
d.h. ich will ihn nicht für meine Arbeit vereinnahmen oder diese auf
diesen Aspekt hin verengen. Ich kann ihn hier lediglich als eine Facette
des Erinnerungsthemas beleuchten und damit auch auf meinen Arbeitsprozeß
verweisen, dem sich diese Facette erst in der „Endphase“ erschloß.